Der nächste öffentliche Abend mit Vortrag für Gäste findet am Mittwoch, den 3. Februar 2021 statt. Aus Infektionsschutzgründen können die Treffen derzeit nur virtuell stattfinden.
Beginn ist um 19:30 Uhr. Um Anmeldung via Mail wird gebeten!
Care-Arbeit neu bewerten
Nachdenken über Basisleistungen für ein gutes Leben (ein Auszug)
Für die eine Form des Arbeitens wird eine Person entlohnt, die andere verrichtet sie unbezahlt. Zur unbezahlten Arbeit, die im Gegensatz zur Erwerbsarbeit auch als Care-Arbeit oder reproduktive Arbeit bezeichnet wird, zählen Tätigkeiten wie Putzen, Einkaufen, Rasenmähen, das Sich-Kümmern um Kinder oder die Pflege von Familienmitgliedern.
Schmerzlich erfahren mussten wir in den letzten Monaten, dass diese Arbeit keineswegs gleichmäßig in unserer Gesellschaft verteilt ist. Vor allem berufstätige Eltern, die sich plötzlich mit der ganztägigen Betreuung ihres Nachwuchses befassen mussten, ohne auf die gewohnten Hilfesysteme von Kita, OGS und erweiterte Familie zurückgreifen zu können, kamen täglich an ihre Grenzen; ebenso Angehörige von pflegebedürftigen Personen, die plötzlich ohne Pflegedienst, Tagesbetreuung oder Heimplatz zurechtkommen mussten.
Es ist überfällig, eine sozialpolitische Debatte darüber zu führen, dass die vermeintliche Modernisierung der Geschlechterrollen in der Berufswelt keineswegs dazu führt, die tradierten Leitbilder abzuschaffen. Wenn überhaupt, tut sie dies für einen sehr kleinen privile-gierten Teil der Frauen, die es sich leisten können, ungeliebte haushaltsnahe Tätigkeiten zu delegieren, in der Regel an andere Frauen, die z. B. weniger gut ausgebildet sind. An Migrantinnen, die aufgrund ihrer Rassifizierung oder sozialen Klasse in der jeweiligen Gesellschaft schlechtere Chancen auf Bildung und Arbeit haben.
Ist es also moralisch verwerflich, sich von Care-Arbeit freizukaufen? Das kommt darauf an. Entscheidend ist, wie die outgesourcte Arbeit bezahlt wird und wie sich diese Entscheidung strukturell auswirkt. Das Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften weist darauf hin, dass Erwerbsarbeit Waren für den Markt produziert, während die reproduktive Arbeit Lebensmöglichkeiten schafft. Dem momentanen Wirtschaftssystem, dass Care-Arbeit weitgehend unberücksichtigt lässt, sind dadurch Kinder- und Altersarmut sowie der Pflegenotstand systemimmanent.
Barbara Thiessen, Professorin der Fakultät für Soziale Arbeit an der Hochschule Landshut, hält es für den falschen Weg, pauschal höhere Gehälter für die sogenannten SAHGE-Berufe zu fordern. »Es braucht eine ausdifferenzierte Arbeitsbewertung, sonst trivialisiert es die tatsächlichen Anforderungen«, meint sie. Für die öffentliche Debatte um professionelle Care-Tätigkeiten bedeutet das: mehr Sachlichkeit und Systematik.
Und im Privaten? Wie lässt sich hier eine einigermaßen gerechte Verteilung ermöglichen? „Eine Ökonomie, die Care-Arbeit nicht einbezieht, ist niemals nachhaltig.“ Daher muss Erwerbsarbeit radikal verkürzt werden. Unbezahlte Sorgearbeit muss gesellschaftlich anerkannt und aufgewertet werden. Die Hälfte der Sorgearbeit steht den Männern zu und jede*r Bürger*in erhält ein existenzsicherndes Grundeinkommen! Dadurch wird ein radikaler Wandel der Arbeitswelt möglich.